, Daniel Steiner
Flirt in den Ferien mit Folgen: Daniel Steiner beim 2. Mittelland Marathon
Während der Fahrt durch Zürcher Weinland ist im Morgendunst der Ferne die Alpenkette zu sehen. So, wie sich der frühe Morgen präsentiert, ist es auch ohne Blick auf die Wettervorhersage kein Geheimnis, dass uns ein Sommertag mit hohen Temperaturen erwartet.
Die Fahrt geht nicht an einen Ort in den Alpen, der auf irgendeiner «to see-Liste» steht. Wer aus dem Nordwesten in Richtung Berner Oberland oder zu den Palmen im Tessin unterwegs ist, war in dieser Gegend vermutlich schon mehrmals mit Staumeldungen konfrontiert. Unweit des Härkinger Autobahnkreuzes ist der Austragungsort des Mittellandmarathons, welchen ein kleiner, motivierter Verein zum zweiten Mal ausrichtet. Stau ist keiner zu erwarten, denn die Teilnehmerzahl ist begrenzt und das Limit schon eine Weile vor der Austragung erreicht. Angeboten werden die volle Distanz als Einzel- und Teambewerb, ein Halbmarathon und ein Waldlauf über 7km.
Entlang der Zufahrt zum Wald sind Parkplätze ausgewiesen und nach ein paar Schritten bin ich bei der Startnummernausgabe und damit eigentlich schon startbereit. Zuvor lasse ich mir aber noch einen kleinen, starken Kaffee kredenzen, Teil der Gastfreundschaft, welche allenthalben zu spüren ist.
Um 10.00 Uhr geht es los. Im Wald und um diese Uhrzeit ist der Sommer ganz erträglich. Mal schauen, wie es noch wird. Nach einem Kilometer kommt ein Abschnitt entlang einer Kiesgrube ohne Schatten, der den Unterschied bereits spüren lässt. Wie in der Schweiz üblich, gibt es auch in diesem Wald Forst- und Fußwege in Hülle und Fülle. Dafür, dass man auf dem richtigen Pfad bleibt, sorgt die Beschilderung und Ausflaggung – und noch habe ich Leute in Sichtweite, von welchen ich annehme, dass sie auf dem richtigen Pfad sind.
Ich würde die Strecke als relativ flach bezeichnen. Nach einer leichten Gefällstrecke gibt es etwa einen Kilometer weiter ein Single Trail, auf welchem diese Höhe wieder dazu addiert wird. Nach ungefähr viereinhalb Kilometern ist in Anbetracht der zu erwartenden Hitze eine Wasserstelle (später auch Cola) eingerichtet.
Von hier geht es entlang des Waldrandes, bevor dann ein Feld gequert wird und der Weg auf der anderen Seite wieder in die Gegenrichtung führt. Nochmals ein kurzes Stück an der Sonne ausgesetzt, dann geht es wieder in den Schatten des Waldes. Kurz vor Ende der Runde gibt es einen 90°-Abbieger auf einen Single Trail. Schon vor dem Einbiegen hört man, dass dort das Zentrum des Geschehens ist. Begrüßt werden wir, wie wenn wir schon einen ganzen Marathon abgeleistet hätten, dabei war es erst die erste von sechs Runden – sicher die einfachste und kühlste…
Auf der Flucht bin ich nicht und auf der Jagd nach einem Podestplatz auch nicht, also nehme ich mir die Zeit und gebrauche den personalisierten Trinkbecher statt der Wegwerfvariante. Wasser, Iso, Cola, Fanta, Sprite stehen bereit und von Energieriegeln über Gel, Süß- und Salzgebäck und Brot ist das ganze Sortiment der Wünschbarkeiten für Langstreckler vorhanden, inklusive Salz.
Zurück auf der Strecke peile ich ein reduzierteres Tempo an. Bis zur Streckenhälfte möchte ich den Durchschnitt laufen, der Ende Oktober zu meiner Aufgabe als Pacemaker gehört. Über die ganze Strecke werde ich das heute nicht schaffen, denn ich erwarte Nachwirkungen des Flirts in den Ferien, der mich ziemlich viel Energie gekostet hat.
Trotzdem laufe ich unbeirrt meine ersten drei Runden und mache in Sachen Zeit eine Punktlandung. Von nun an wird es aber härter. Mittlerweile steht die Sonne so steil über uns, dass auch Teile des Weges, die zu Beginn des Marathons noch im Schatten lagen, ebenfalls dem unerbärmlichen Sengen ausgesetzt sind. Nach der Wasserstelle lege ich sogar eine Gehpause ein. Immerhin bereitet mir das keine Schwierigkeiten, wovon jeder Marathonratgeber dringendst abraten würde. Ich laufe mit einem neuen Schuh, und zwar nicht von meiner gewohnten Marke, sondern einer, die für mich und meine Füße neu ist. Meine anfänglichen Bedenken, dass ich diesen aus Deutschland stammenden (in Portugal hergestellten) eine Nummer zu groß gekauft habe – zumal sie einen generös geschnittenen Zehenbereich haben – waren auch umsonst. Erst recht heute, bei diesem Temperaturen fühlt sich der Vorderfuß uneingeengt schmerzfrei.
Etwas mehr eingeengt fühlt sich meine Lunge. Ich wünschte, ich könne mehr Luft hineinpumpen, doch dafür bin ich nach diesem Flirt in den Ferien zu ausgepumpt. Das Singlet ziehe ich mir auch nicht aus, um den Oberkörper befreiter fürs Atmen zu halten, sondern schlichtweg darum, weil sich durch das Schwitzen der doppelte Schutz der Brustwarzen durch Sprüh- und Vliespflaster verabschiedet hat und ich keine Lust habe, mit blutig gescheuerter Brust anzukommen.
Für die sechste und letzte Runde habe ich nicht alle Zeit der Welt, doch ein so großes Polter, dass ich sie als Walkingrunde absolvieren kann, zumal ich dank dem Training auf dem Laufband weiß, dass ich damit in einer Stunde höchstens etwas mehr als einen Kilometer auf mein gemütliches Lauftempo einbüße. Mir geht es darum, auf meinem langen Weg zurück zum Langstreckenlauf wieder Kilometer gesammelt und einen weiteren Marathon in den Büchern zu haben (damit mein Plan fürs Jubiläum aufgeht), dabei aber nicht in den roten Bereich zu geraten. Beweisen muss ich niemandem etwas.
Niemanden? Stimmt so nicht ganz. Dem Flirt, der mir meine Ferien versaut und diesen Start fast verunmöglich hat, will ich eine lange Nase machen oder einen ausgewählten gestreckten Finger zeigen. Das gelingt mir auch, und gäbe es ein Podest für die drei letzten Klassierten, könnte ich mit aufs Treppchen steigen und von dort oben dem Coronavirus zeigen, was ich von ihm halte. Egal ob Flirt oder eine andere Variante. Egal, wie lange ich gebraucht habe, der Empfang im Ziel ist herzlich, die Holzmedaille dem Austragungsort angepasst, der Finisherbag gut gefüllt, das alkoholfreie Bier vom originellen Biermobil gut gekühlt und die Auswahl in der Eisbox nach meinem Geschmack.
Im Kalender habe ich mir den 28. Dezember bereits angestrichen. Dann findet der 3. Mittelland Marathon als Winterausgabe statt – bei garantiert tieferen Temperaturen und sicher wieder mit einer für hiesige Verhältnisse moderaten Meldegebühr.